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Beschilderung der historischen Ratzenrieder Häuser

Schild

Hautnah erlebte Ratzenrieder Geschichte

Ratzenried kann mit einer besonderen Attraktion aufwarten. Das Dorf, beim "Schönheitswettbewerb" schon mehrere Male ausgezeichnet, kann neben Schönheit auch interessante geschichtliche Ausblicke bieten. Dem Heimatverein Ratzenried ist es zu verdanken, daß im Dorf und in etlichen zugehörigen Weilern die geschichtsträchtigen Häuser Schilder erhalten haben, die das dörfliche Leben und Treiben von anno dazumal festhalten. Eine Dokumentation, die beim rasanten Wandel der letzten Jahrzehnte von größter Wichtigkeit ist, denn schon für die jetzige Kindergeneration ist die Vielfalt der Lebensbereiche und Berufe im alten Dorf schon mehr oder weniger vergessen.

Die langjährigen Forschungen von Berthold Büchele, die unter anderem der Hausgeschichtsforschung gewidmet waren und natürlich das Interesse und die Unterstützung der entsprechenden Hausbesitzer haben diese Schilderaktion möglich gemacht, eine Aktion, die auf einem Dorf ihresgleichen sucht.

Ehemaliges herrschaftliches Ausdinghaus

Wer Lust hat, kann nun im Dorf herumspazieren und das frühere Dorfleben auf 70 Schildern hautnah erleben. Kirche und Schloss, Zeugen der geistlichen und weltlichen Geschichte, überragen weithin sichtbar die Häuser des Dorfes. Der Bauhof, Wirtschaftszentrum der Herrschaft, wartet noch auf die endgültige Sanierung. Gegenüber dem Schloss das ehemalige herrschaftliche Ausdinghaus, wo die freiherrliche Mutter vor 200 Jahren ein stattliches Barockhaus beziehen durfte; nahe bei der Kirche das ehemalige Pfarrhaus und der dazugehörige Widdumhof zur Versorgung des Pfarrers sowie das "Schwesternhaus", das an die Versorgung der Kinderschule und der dörflichen Krankenpflege erinnert.

früher Mesnerhaus, Schule, Nachtwächterdomizil und später Gemischtwarengeschäft

An der Kirchenmauer steht das uralte Mesnerhaus, wo später unter beengtesten Verhältnissen in einem einzigen Raum Schule gehalten wurde, der Nachtwächter wohnte und schließlich ein Gemischtwarengeschäft existierte; gegenüber die ehemalige Badstube, geselliger Treffpunkt des Dorfes, Bad und Dorfpraxis in einem.

Seit 1996 ziert eine von Pfarrer Anton Schmid gestiftete Georgs-Statue den Dorfbrunnen

Der Dorfplatz ist geprägt vom Dorfbrunnen mit den Wappen der Herrschaften, die die Dorfgeschichte bestimmt haben: St. Gallen, Unrain, Humpiß, Beroldingen, Waldburg-Zeil  und das Gemeindewappen von Argenbühl.

Das Rathaus und die alte Schule künden von den vergangenen Zeiten der ersten Schultheißen und der alten Dorfschule. Von hier führt der Weg zur Wirtschaft "Zum Ochsen", früher Taverne, Gerichts- und Tanzhaus in einem, und zur ehemaligen Wirtschaft des Unteren Schlosses, denn was heute kaum vorstellbar ist: Früher gab es für die Leibeigenen der beiden Ratzenrieder Herrschaftshälften getrennte Wirtschaften. Wirtschaft und nachmalige Käserei sind beide inzwischen Geschichte.

Etwas zurückversetzt die ehemalige Brauerei, Zeugin der berühmten Ratzenrieder Schloßbrauerei. Wo heute im "Festbierhaus" lustig gezecht wird, hämmerte früher der Dorfschmied, und etwas weiter trafen sich die Frauen im Waschhaus zu Arbeit und Geplauder. Gegenüber wohnte ein berühmter Briefmarkensammler, der vom Erlös seiner Sammlung seine Indianermission in Amerika unterstützte. Daneben die ehemalige Wirtschaft "Zur Rose" und das "Rössle", früher mit Bäckerei und Kegelbahn.

Im Oberdorf, dem ehemaligen "Oberhof" und Wohnort des Kirchenstifters, gab es Schuster, Metzger, Bäcker und den ältesten Gemischtwarenladen des Dorfes, wo die Dörfler schon vor 200 Jahren vom Zucker und Modekaffee über Garn und Leinwand bis zum Melkfett so fast alles "kramen" konnten. Selbst eine kleine Hauskäserei gab es hier im Oberhof. Daneben die Erinnerung an die alte dörfliche Gerichtsbarkeit in den Häusern des Waibels und des Dorfpolizisten.
Im Hinterdorf wohnte im Mittelalter der Vogt und existierten auf dem "Lindenknobel" verschiedene Handwerksbetriebe wie Schreiner, Wagner, Rechenmacher, Glaser, Küfer, Holzhacker, Weber, Schneider, Schlosser, Büchsenmacher, Buchbinder, Zimmerleute, Maler; selbst den ausgefallenen Beruf des Harzers gab es, der im Wald Harz sammelte. Der "Ritterbote", der hier wohnte, mußte Botschaften des Ritterkantons Allgäu, zu dem Ratzenried gehörte, u.a. bis Paris bringen. Natürlich waren allesamt Bauern im Nebenerwerb.

Ein Schmuckstück im Hinterdorf, 1770 wohnte hier Ritterbote (damals allerdings ohne Sat-Antenne...); er ist gleichzeitig Weber und Bauer; Erbaut um 1680 als „Holzers Gütle“; St. Gallisches Lehen des Oberen Schlosses;
Anfang des 20. Jahrhunderts Küferei, bis 1951 Landwirtschaft.

Ein Blick in das malerische Hinterdorf.
Vorne rechts: 1453 als „Eschenbachgut“ und als St. Gallisches Lehen des Unteren Schlosses erwähnt. Um 1500 aufgegeben. Um 1650 als Söldhaus neu erbaut, im 18. und 19. Jahrhundert Wagnerei, dann Rechenmacherei, um 1900 mit kleiner Hauskäserei, Landwirtschaft bis 1960.

Auch in den umliegenden Weilern sind die Spuren der Geschichte festgehalten: Uralte und schon im 13. Jahrhundert erwähnte Höfe in Weihers, Kögelegg und Sechshöf, der Keimzelle des heutigen Ratzenried; die alten Schaffhauser Lehenhöfe in Artisberg, die früher direkt St. Gallen unterstehenden Höfe in Buchen, ein Handwerkerhaus mit Schmalzhandlung in Tal, ein uralter Hof in Berg. Oben bei der alten Burgruine das Haus des Schloßbauern, der die alten Rittersleut mit Nahrungsmitteln beliefern mußte, draußen in Reute der Nachfolger des dortigen Meierhofs. Interessante Zeugen der Mühlengeschichte befinden sich in Rehmen, Argenmühle und Neumühle, der ersten Mühle mit Argenkanal. Gleich in der Nähe die Neumühlebrücke, eine der ältesten überdachten Brücken der Gegend, und der Hof in Burkarts, in dem der Brückenzoll entrichtet werden mußte.

Wer also auf den Spuren der Ratzenrieder Geschichte wandeln möchte, kann zu Fuß oder mit dem Rad in kurzer Zeit mehrere Jahrhunderte "abklappern" und dabei lebendige Eindrücke des früheren Dorflebens gewinnen. Auch für Auswärtige ein lohnender Besuch, zumal an der ehemaligen Herrschaftsgrenze kein Zoll mehr zu zahlen ist und die Raubritter längst ausgestorben sind.

Text: Berthold Büchele

Bilder: Hans Knöpfler

 

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